
Alles ist offen, alles ist noch möglich zu Beginn eines Films. Die ersten Filmminuten wecken Erwartungen, überraschen, machen Spaß, sind grell und laut oder schlicht und leise. Sie bereiten vor auf das, was kommt. Sie ziehen das Publikum hinein in den Film.
Ein Film ist nie so frei wie in den ersten Sekunden.
Die ersten Filmminuten sind oft vollgestopft mit Informationen. Sie sagen etwas aus – mal klipp und klar, mal beiläufig: über den Schauplatz, die Figuren, die Stimmung, die Konflikte, die den Betrachter:innen im weiteren Filmverlauf begegnen werden. Manchmal erzählen sie im Grunde schon den ganzen Film. So wie NORDSEE IST MORDSEE: Die Figuren und die Filmbilder sprechen von Enge, von Ausbruchswillen und von einer neuen Freundschaft. Udo Lindenberg transportiert dasselbe im Titelsong.
Unheilvoller hingegen das Szenario, das Peter Fleischmann hier in wenigen Einstellungen skizziert. Die Symmetrie der Kirche und des katholischen Gottesdienstes, die argwöhnischen Blicke der Figuren und ihre gezeichneten Gesichter in Großaufnahme deuten auf Repression und ein schlecht unterdrücktes Gewaltpotential hin. Ein ins Abgründige gewendeter Heimatfilm nimmt so seinen Anfang.
Filmanfänge informieren nicht zuletzt über die an der Entstehung des Films Beteiligten, indem sie Regisseur:innen, Darsteller:innen, Produzent:innen, Kameraleute, Komponist:innen, Tonleute, Masken- und Kostümbildner:innen, Ausstatter:innen, Caster:innen, manchmal auch wissenschaftliche Berater:innen und andere Personen mit Namen nennen.
Der Filmvorspann bündelt verschiedene, teils heterogene Funktionen: Er dokumentiert die Filmproduktion, adressiert den Zuschauer, führt in die Diegese ein, thematisiert die Vorführsituation, ist Anfangsmarkierung, Einstimmung, Nachweis von Arbeit, Ort der Signatur, Werbung, Film im Film.
Die Grundfunktion des Filmanfangs ist in mehr als 120 Jahren Filmgeschichte gleichgeblieben: Er bietet eine Passage in den Film. In den Details aber hat sich der Umgang mit den ersten Filmminuten stark verändert. Der Filmanfang der frühen Filmgeschichte orientierte sich an den Konventionen des Theaters. Texttafeln in Stumm- und frühen Tonfilmen machen wie auf der Besetzungsliste einer Oper klar, welcher Name zu welcher Rolle gehört.
Oft werden die Schauspielerinnen und Schauspieler, natürlich in Kostüm und Maske, in Porträtform zusammen mit ihren Rollennamen gezeigt. Auch ein Berg kann da mal zu den Hauptdarstellern zählen.
„Filmanfang“ ist weit davon entfernt, ein selbsterklärender, unmittelbar evidenter Begriff zu sein, unter dem ein jeder dasselbe versteht.
Bis ungefähr zur Mitte des letzten Jahrhunderts konnte man zur Beantwortung dieser Frage auf den Vorspann verweisen. Vorspann, das ist eine vom Rest des Films klar abgesetzte Sequenz, die neben dem Titel auch Verleih- und Produktionslogos und eben die Credits enthält. Der Begriff verweist auch auf die Materialgeschichte des Films: „Spanne“ meint ein fix zu definierendes Stück Film, eine bestimmte Länge des Celluloid- oder Polyesterstreifens, der in der analogen Vorführung durch den Filmprojektor läuft. Der Vorspann bildet somit tatsächlich stets den Anfang eines Films. Erst später wurden die Credits weiter in den Film hinein verschoben, in die Filmbilder integriert und somit stärker mit der Narration verschränkt. Heute finden sich ausführliche Stabsangaben meist im Abspann, ganz am Ende eines Films.